Hallo Joschi,
in der Heimtierhaltung ist das von Dir angesprochene Problem tatsächlich eins: die mangelnde Bewegung und die frische Luft. Bekanntlich fördert ja allein schon der Aufenthalt an der frischen Luft das Allgemeinbefinden und stärkt das Immunsystem.
Wildkaninchen fressen bis zu 30x am Tag, bedingt durch den langen Bauaufenthalt bzw weil sie einen ausgeprägteren Tagesrhythmus als Hauskaninchen aufweisen. Hauskaninchen, denen Futter rund um die Uhr zur Verfügung steht, fressen bis zu 80x, weil sie auch tagsüber fressen können (es fehlt der Feinddruck).
Wildkaninchen sind einer Reihe von Umwelteinflüssen ausgesetzt, die sie durch die Nahrungsaufnahme kompensieren müssen: Trächtigkeit, Revierkontrolle bzw. Rangkämpfe, Wachstum, Feinddruck, Witterung usw…. Im Winter werden die meisten, energiefressenden Aktivitäten aber eingestellt. Nicht, weil sie keine Lust mehr hätten, sondern weil das Nahrungsangebot nachlässt. Je nach Habitat werden aber Wildkaninchen im Winter nicht „dünner“, sondern halten sogar ihr Gewicht.
Hauskaninchen fehlen in der Regel die Umweltreize und vor allem die frische Luft. Sie bewegen sich weitaus weniger als ihre wilden Artgenossen. Die meisten schleppen sich nur zwischen Schlaf-/Ruheplatz und Futternapf hin und her, weshalb ihr Energieverbrauch wesentlich geringer ist.
Normalerweise begegnet man dem Mangel an Bewegung bei Haustieren durch eine Rationierung des Futters. Üblicherweise funktioniert das auch, nur bei Kaninchen nicht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:
1. sie müssen ihre Zähne abnutzen.
2. Ihr Verdauungstrakt ist so ausgelegt, dass ständig Nahrung (bzw. ersatzweise Blinddarmkot) nachkommen muss. Der gesamt Darm fasst etwa die zehnfache Menge des Magens!
3. Die Menge und die Zusammensetzung der Nahrung (Rohfaser und Wasser) reguliert die Peristaltik (Eigenbewegungen des Darms), die wiederum den Nahrungstransport steuert.
4. sie nehmen viel Kalzium auf, was mit dem Wasser wieder raus muss und die Harnkonzentration muss durch das Wasser niedrig gehalten werden.
Das sind jetzt mal ad hoc 4 Beispiele, es gibt natürlich noch mehr Einflussfaktoren. Weicht man von der natürlichen Nahrung ab (rationiert das Futter oder gibt minderwertigeres), wird zwangsläufig einer der 4 Punkte zu einem Problem.
Wenn Kaninchen „fett“ werden, gibt es auch hierfür wiederum verschiedene Möglichkeiten:
5. die Nahrung enthält wesentlich mehr Energie, als sie verbrauchen
6. sie sind kastriert
7. sie sind krank
8. der Halter empfindet seine Tiere als „fett“, obwohl sie es tatsächlich nicht sind. Die Beurteilung ist rein subjektiv und sollte von einem Tierarzt bestätigt werden. Damit will ich niemandem zu nahe treten – es ist ein reiner Erfahrungswert.
Wenn Kaninchen durch Nahrung „fett“ werden, sollte man sich den Kaloriengehalt des Futters näher ansehen. Bei Salaten und Gemüse würde ich mir die Mühe sparen, weil selbst die Karotte noch weniger Energie enthält als z. B. Petersilie oder Löwenzahn - genau genommen die Hälfte. Von was sollte es jetzt noch dick/fett werden?
Mal rein theoretisch: Möhren enthalten ca. 26kcal/100g, Löwenzahn ca. 55kcal/100. Das heißt, ein Kaninchen müsste die doppelte Menge an Möhren fressen, um die gleiche Energie wie mit Löwenzahn aufzunehmen. Das sind ungefähr 1,5kg Möhren für ein Tier, das 2kg wiegt. Das ist völlig ausgeschlossen (weil biologisch unmöglich). Es müsste sogar noch mehr fressen, um dick zu werden...
Die „dicken“ Kaninchen, die ausschließlich mit Gemüse, Salaten und/oder frischen Kräutern ernährt werden, sind mir persönlich ein Rätsel. Ich habe es auch noch nie selbst erlebt. Im Gegenteil: Unsere Tiere bekommen ALLES ad libitum, auch getreidehaltiges Trockenfutter (bitte nicht nachmachen!). Keines von denen ist dick/fett. OK, der kastrierte Rammler könnte ein paar Gramm weniger haben - aber er ist nicht fett.Auch in persönlichen Beratungen gab/gibt es keine solchen, durch Gemüse/Grünfutter dick gewordenen, Tiere (obwohl sie manchmal so beschrieben wurden). Manchmal stellte sich aber heraus, dass noch das eine oder andere Leckerchen gereicht wurde...
Wildkaninchen nehmen im Winter relativ wenig Kalorien auf – im Vergleich zu Gemüse aber mehr. Sie verbrennen wenig davon, weil fast alle energieraubenden Aktivitäten eingestellt sind (Erhaltungsbedarf: das Hoppeln zum Nahrungsplatz kostet nicht unbedingt viel Energie). Wildkaninchen nehmen im Winter nicht zwangsläufig ab.
freundliche Grüße,
Andreas
PS: Das hier ist ein super, klasse, toller und ganz einmaliger Thread!
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