Als Kind durfte ich keine Haustiere haben, weil mir meine Mutter (die auf einem Bauerhof aufgewachsen viele Tiere verlor durch Unfälle, Alterstod, Krankheiten oder auch Schlachtungen) Trauer und Schmerz im Falle des Todes des Tieres ersparen wollte. Am 1999 plante ich also heimlich und ohne Zustimmung der Eltern, mir zwei Zwergkaninchen zuzulegen. Binnen weniger Wochen waren sie volle Familienmitglieder. Albrecht Dürer, Speedy und Lieschen Müller sind in meiner Abwesenheit verstorben bzw. eingeschläfert worden. Mit Filu bin ich jetzt mit 29 Jahren das erste mal mit dem Tod eines Haustieres konfrontiert.
Mai 2002Filu Wuschelbär zieht ein und erobert mein Herz im Sturm
Sie war schon immer neugierig und lebte nach dem Motto "Erstmal alles fressen. Beurteilen, ob es gut war, können wir später" und wir hatten so einige Bauchweh-Erlebnisse miteinander.
Filu war ein Zoohandel-Kaninchen. Ich wusste es damals nicht besser und sie erlebte noch Käfighaltung in einem doppelstöckigen Frettchenkäfig mit stundenweisem Zimmerauslauf. Sie war aber nicht blöd und sprach sich mit ihrer Kumpanin Blacky ab, niemals zeitgleich in den Käfig zu springen. Also blieb er bald immer auf.
Was ein neugieriger Schelm!
Filu ist fünf mal umgezogen. Das ist schon ganz viel Aufregung für ein Kaninchenleben. In Trier im Hinterhof mit kleinem Garten gefiel es ihr glaube ich am besten.
Sie lebte eine Woche allein bei mir in der Studentenbude. Dann bekam sie die gleichaltrige Blacky dazu. Es gab immer mal wieder Rangunklarheiten und Gezicke, aber v.a. viele viele Kuschelstunden und gemeinsame spannende Entdeckungstouren in den fast 9 Jahren gemeinsames Leben.
Es kommt schubweise, immer mal wieder, ohne besonderen Triggerreiz.
Es ist nicht so, dass ich immer heulen muss, wenn ich die anderen drei sehe.
Sie lösen soviel Freude aus, wenn ich sie beobachte.
Und sie scheinen nicht zu trauen.
Oder haben noch gar nicht begriffen.
Oder haben schon sehr viel länger vor mir begriffen und akzeptiert.
Es ist nicht so, dass mich ins Leere laufende Fragen quälen und Zweifel "hätte, wäre, könnte". Alle Entscheidungen stellten sich als für mich richtig heraus. Es ist nicht so, dass die Rationalisierungen irgendein Gefühl regulieren oder dämpfen oder mich Gefühle abwehren lassen. Nee, wenn die Trauer kommt, dann kommt sie und lässt sich durch kein "Sie hatte ein schönes Leben", "Sie war bis zum Schluss so aufgeweckt", "Sie war ja auch schon alt", "Das war das Beste so", "Immerhin hat sie sich nicht über Wochen gequält" wegreden, wegdenken, erträglicher machen.
Fette Trauer, in der fast reinsten Form. Keine Verzweiflung, kein zerreißender Schmerz, keine Zweifel, keine Schuld, keine Angst. Nur Trauer. Seltsames Gefühl. Mit zerreißendem Schmerz hab ich mehr Übung. Aber nur Trauer. Und Erinnerung an die Hoffnung, die gestern noch war. Und Erinnerung an die Ahnung, die böse Vorahnung*, den Realismus im Geiste.
Da hat mich ein Lebewesen 3247 Tage (8 Jahre, 11 Monate, 21 Tage) lang in meinem Leben begleitet, mir viel Freude gebracht, mir so manches mal meinen Egoismus verziehen, mir Sorgen gemacht, mich verärgert. Und jetzt ist sie nicht mehr da. Gefühlt spielt es absolut keine Rolle, ob sie sprechen konnte oder wie behaart sie war. Es war klar, dass es schlimm wird, wenn mal der Tag kommt. Es überrascht mich dennoch, wie sehr es mich beeinflusst.
Gestern konnte ich mich geschäftig ablenken: Im Internet recherchieren, alles für nach der OP vorbereiten, umräumen, kaufen. Ich hätte genug, womit ich mich heute geschäftig ablenken könnte/müsste/sollte, aber ich stotter irgendwie durch den Tag, fange Dinge an, lass sie unerledigt liegen. Ich hab ne Liste, auf der "duschen, anziehen, frühstücken" steht. Da liegt sie die Liste - seit 7:30 Uhr.
Ich weiger mich, den Schuhkarton zu holen und vorzubereiten.
Ich weiger mich, den Käfig mit den Handtüchern wegzuräumen.
Aber ansehen mag ich den Käfig auch nicht - so vorbereitet, wartend, leer wie er da steht.
Ich kann dieses vergebliche Warten und Hoffen nicht ansehen.
* Am Sonntag ist mir im Hausflur der Napf von meiner ZuckerZicke Filu zerbrochen. Er war als Sachspende fürs Tierheim gedacht und ich war auf dem Weg dorthin zum Osterbasar/Flohmarkt. Ich benötige ihn nicht mehr, seit vier Köpfe über einem Blumkübeluntersetzer von 30 cm Durchmesser hängen. Filu war zu dem Zeitpunkt bei der Ärztin zur Beobachtung. Der Napf zerbrach und ich dachte "Bitte lass es kein Zeichen sein!" 'Sie brauch ihren Napf nicht mehr'
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