Im Sommer holte ich sie rein weil es ihnen zu heiß wurde. Im Winter…im Winter holte ich sie auch rein. Ich ahnte das es der letzte Winter sein würde. Es war die vorherigen schon immer Kopfzerbrechen gewesen: Draußenlassen-reinholen. Wie halte ich alles warm? Zuerst waren sie etwas verhalten in meinem Zimmer obwohl sie es schon vom Sommer kannten. Schnell wurde es aber ihr festes Zuhause. Sie fühlten sich wohler wie draußen, waren viel aktiver. Besonders für Felix war es gut einen übersichtlichen und beschränkteren Platz zu haben, wo Klo, Trinken, Fressen und Schlafen nicht weit voneinander entfernt war – und Blacky immer an seiner Seite. Oh, er liebte Blacky. Vorallem seit dem letzten Herbst, da fand ich ihn ganz komisch draußen vor, wollte nichts fressen, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Ich dachte es wäre jetzt der Zeitpunkt das er sterben würde. Er hatte auch keine wirkliche Aufgasung vielleicht war es eine Verstopfung? Er bekam etwas Koffein für den Kreislauf.
Seit er das Koffein bekommen hatte wurde er anders. Die ersten Tage war er total aufgedreht konnte sich nicht stillhalten und ich hatte Sorge wegen seinem Alter, weil er ja eigentlich schon total erschöpft war vom vielen ungewohnten rumlaufen, aber er konnte nicht anders. Das war das eine. Das andere: Er wurde sich seiner Männlichkeit bewusst! Er hatte die vorherigen Jahre nie das Interesse gehabt Blacky oder Flocke zu berammeln. Und auf einmal jagte er Blacky hinterher mit einem lockenden Möp-möp Ruf.
Und dieses rufende Verhalten hatte auch zwei Jahre später noch.
Ich vermisste diesen Winter im Außengehege zu sitzen, bei – 20 Grad mit Schneeanzug und die Stille zu genießen. Das Schneien. Aber es war auch schön beide ganz Nahe bei mir zu haben. In meinem Zimmer. Und zum ersten Mal: Ohne Gitter rundherum, denn früher, egal wann, ich hatte immer ein kleines Gehege um sie gebaut, auch aus Schutz damit sie nicht irgendwo rein krochen, oder was anfraßen. Diesesmal vertraute ich darauf das der Parkett zu glatt für sie war.
Für Blacky schon. Felix kannte ihn noch aus Kindheitstagen. Und obwohl er schon so lange nicht mehr in meinem Zimmer war: Als ich ihn an die Treppe setzte erinnerte er sich. Und er wusste am Ende der Treppe das er den Gang überqueren musste auf die andere Seite, machte Männchen an der Wohnzimmertür, die ich öffnete, er kroch rein – und da wo der Käfig einst war, stand jetzt der Kamin.
Er hatte ein gutes Gedächtnis. Wie auch damals als ich im Gehege war und ihn rief. Mit seinem Namen, ganz lockend. Das hatte ich früher ein paar Mal gemacht damit er lernte auf seinen Namen zu kommen aber daran hatte er nicht wirklich Interesse gehabt. Und jetzt? Spitzte er die Ohren, sah mich an, überlegte richtig, dass es eine Bedeutung hatte, was ich da sagte…irgendwas…plötzlich machte er einen Popcorn-Sprung in die Luft und rannte auf mich zu.
Der Frühling kam und wie immer sagte ich mir, das es vermutlich der letzte Frühling für Felix sein würde. Dann kam sein Geburtstag und ich feierte ihn mit Blacky und Felix.
Und fragte mich ob es sein letzter Geburtstag sein würde.
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Fünf Tage später wurde er schwer krank. Es war keine Aufgasung, vermutlich wieder ein knotiger Köttel – jedenfalls wollte er nichts fressen. Zweimal fuhren wir in die Klinik und „füllten“ ihn ab aber irgendwie schlug nichts an. Nur wenn ich ihn auf den Tisch hob wollte er fressen. Aber nur ausgewählte Sachen. Er bekam das was er wollte. Zwei Tage später fraß er immer noch nur auf dem Tisch, dann irgendwann auf dem Boden. Eine Woche später merkte man ihm die Erschöpfung noch deutlich an aber er fing schon wieder an Blacky hinterher zu laufen. Dann bemerkte ich das er deutlich humpelte. Vermutlich von dem Röntgenversuch.
Dann wurde Blacky schwer krank. Und sie starb. In der Tierklinik in der sie das allererste Mal ihre Aufgasung hatte, also mein „zweites Mal“.
Und es war so sinnlos, so vermeidbar.
Und Felix war alleine. Und er durfte doch nicht alleine sein.
Ich suchte im Internet und fand eine 11jährige Dame. Aber sie war gemein zu ihm und er war ihr eindeutig unterlegen und unglücklich. Es war eine Zumutung. Ich suchte einen Platz für sie.
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Dann, als ich eines Tages in mein Zimmer ging, fand ich ihn plötzlich auf dem Rücken liegend. Als ich ihm aufhalf, hatte der Kopf nach links gedreht, die Hüfte kippte nach rechts. Er war verwirrt, panisch. Ich hielt ihn, tröstete ihn, er schlief ein.
EC…das auch noch.
Er bekam die Behandlung gegen EC. Seine Augen eiterten wieder mal, es war ein ewiger Kampf, die ganzen letzten vier Jahre. Dann noch ne seltsame Hautsache, dasselbe was Blacky gehabt hatte kurz bevor sie starb und ich hatte Angst was das ist – Milben? Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen. Eine Hautentzündung irgendwie…
Sein Humpeln wurde etwas besser.
Seine Augen wurden endlich! Auch besser und zum ersten Mal waren beide Augen wieder gesund.
Dann entdeckte ich einen Knubbel an seiner linken Schulter. Oh gott -ein Tumor? Wann hörte es endlich auf? Wieso musste er soviel ertragen?
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Ich ließ die Probe einschicken – es war eine Entzündung die der Körper selbst ausheilen konnte.
Es gab bessere Tage, drei Tage lang war er richtig fit und wagte sich sogar mal wieder bis zu meiner Zimmertür, schaffte es auch jedesmal rechtzeitig aufs Klo (egal wie schlecht es ihm ging, er bemühte sich immer irgendwie es noch aufs Klo zu schaffen)
Ich holte ein kleines Kaninchenmädchen. Holli. Holli Hope. Ein Kind neben einem alten Kriegsveteran. Es war erschreckend wie alt er jetzt wirkte. Seit Blacky nicht mehr da war war er um 100 Jahre gealtert. Sie kletterte rum, er putzte sie.
Nachts musste ich Holli raussetzen damit ich ihn hören konnte falls er umfiel und ihm wieder aufhelfen konnte. Einmal kippte er plötzlich um sein Kopf scannte und ich ihn nur fest, weinte und war für ihn da. Bis er sich beruhigte. Manchmal fand ich ihn nachts sehr orientierungslos vor, als ob er sich nicht auskennen würde wo er war und wo er hinwollte. Ich führte ihn unter seinen Stuhl. Zwischen seine Wärmflaschen. Da lag er oft die ganze Nacht. Er wollte nicht mehr viel fressen, er wollte viel frische Luft haben. Wurde regelrecht süchtig danach. Und ich entdeckte das seine Nase wellenartig lief…wie bei Flocke. Er hatte wohl was an der Lunge oder am Herzen…das auch noch.
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Es ging bergab. Ich wusste es. Aber an diesem Tag hatte er eine gute Nacht gehabt, er kratzte sich sogar! Putzte sich! Das war schon mal. Er hatte die Banane gefressen – von sich aus. Ich verabschiedete mich von ihm. Musste in die Arbeit weil ich dort auch eine betriebliche Abschiedsfeier hatte…und ließ ihn mit Mutter alleine zum Tierarzt fahren wie auch die letzten Male. Oft hab ich mit ihr über das Einschläfern geredet. Und was sie fragen und sagen soll. Alles auf einen Zettel geschrieben. Ganz wichtig: Ob die Tierärztin ihn auch zu Hause einschläfern würde. Ich wollte gerne dabei sein. Das war wichtig. So wichtig!
Nur kurz ging ich nochmal zu ihr und meinte, dass wenn es gar nichts mehr half, er wirklich schon gequält dahin siecht, dann sollten sie ihn ohne mich einschläfern.
An diesem Tag holte ich meine Mutter weinend ab. Ich konnte es nicht glauben. Er war…tot…?
Sie sagte das er Gewebe in der Lunge hatte und sein Herz…war so gesund und stark. Wirklich stark. Aber er hatte eine Wucherung am Herz. Die nach oben wanderte…und plötzlich einen scharfen Knick machte um ihm die Luftröhre abzudrücken. Er hätte vielleicht noch ein paar Tage gehabt bevor er erstickt wäre.
Sie hatte nicht gefragt ob sie ihn daheim einschläfern konnte. Dazu war es irgendwie nicht gekommen…
Ich war nicht dabei. Bei allem was ich für ihn tat und wie er mich brauchte – war ich nicht da als er mich am dringendsten brauchte. Ich hatte meiner Mutter nicht mal mehr in der früh gesagt wie sie sein Köpfchen halten soll falls es wirklich wäre…
Ich habe sein Grab alleine ausgehoben. Im Regen. Ich wollte nicht das sie mir diesen Abschied auch noch nahm. Ich wollte alleine sein mit ihm. Es war nicht pompös, gar nicht so wie bei Blacky. Aber hätte ihm das nicht auch zugestanden? Ich war allein. Und ich betrachtete und streichelte ihn noch lange. Oft, sehr oft habe ich darüber nachgedacht wie es wohl wäre. Ob es die Seuche wäre, ob es eine Aufgasung wird, ob er friedlich einschläft oder ob ich ihn eines Tages einfach so auffinde und mir Vorwürfe machen werde weil ich nicht wissen würde was es war und ob es mein Versagen war. Es ging alles relativ schnell. Ich wusste nicht was ich ihm noch alles sagen sollte. Es war alles gesagt worden. Sehr oft. Und jetzt…war es einfach vorbei.
Ein paar Tage später fand ich einen guten Platz für Holli.
Seitdem bin ich kaninchenlos.
Und ich vermisse dich Felix. Mein Süßer und Charmeuer. Mein Augenstern und Engel und…mein Alles. Um dich hat sich meine ganze Welt gedreht – alles hat sich um dich gedreht. Und jetzt – bist du nicht mehr da. Und ich weiß nicht wer ich bin. Was ich noch alles bin. Was ich noch kann…ich bin kraftlos. Die letzten zwei Monate waren psychisch und physisch anstrengend gewesen. Ich werde dich nie vergessen – und doch bin ich seit deinem Fehlen genauso das ich nicht versuche an dich zu denken, an die letzten Tage zu denken, deswegen habe ich auch so lange damit gewartet hier zu schreiben weil ich es nicht…verstehen wollte. Ich konnte nichts von dir wegräumen und doch konnte ich es auch nicht betrachten. Es wegzuräumen bedeutete das du nicht mehr da warst. Und doch warst du ja nicht mehr da weswegen alles schmerzte, die Decken, das Heu am Boden….alles war im Haus verteilt worden, besonders die letzten Wochen. Jeder Tag floss in einander. War mir dieser berufliche Abschied echt wichtiger gewesen? Wieso habe ich dich nicht einfach an diesem Tag nochmal zum Tierarzt begleitet – aber es war ja nur ne Untersuchung. Es ging dir einen Tag ja vorher noch ziemlich gut. Also besser. Es stand ja die Aussicht dir ein Herzmedikament zu geben, etwas um die Lunge zu entwässern.
Du fehlst mir…es tut so weh, so unfassbar…du warst immer da. Und jetzt, bin ich allein. Und…ich kann mich nicht damit trösten, mit diesem Satz der mir von allen gesagt wird „Er hatte das schönste Leben bei dir“, weil ich weiß das es das eben nicht war. Du hast alles so genommen wie es war und trotzdem hast du das Leben geliebt, du warst so naiv und so stark und hast alles verkraftet und überlebt. Egal was. Du warst alt. Aber das war kein Grund. Ich wäre gerne bei dir gewesen…hätte dich begleitet…aber ich war nicht da…weil meine Mutter das wohl doch falsch verstanden hat mit meinem Zusatz. Denn wenn du noch ein paar Tage gelebt hättest, je nachdem wie schnell die Wucherung wäre, was wäre es da schon gewesen noch drei Stunden zu warten bis ich dabei wäre, bei dir wäre. Ich bin sauer auf sie. Erst Blacky. Jetzt hat sie sich zwischen uns gestellt. Und doch: Ich hätte auch einfach zum Tierarzt fahren können, mitfahren können…auch wenn es kompliziert gewesen wäre wegen der Arbeit…und ich e schon oft gefehlt habe die letzten Wochen…es wäre möglich gewesen.
Jetzt sitze ich hier und komme zum Ende…eine Ära geht zu Ende…ich habe kaum geweint bei diesem Text. Ich bin von mir selbst überrascht. Ich hoffe dieses Aufschreiben hat den gewollten Effekt, das es auch noch den letzten Rest an Trauer, dieses Gift, aus mir rauszieht, wie sonst so oft.
Du warst das Besonderste was ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Ich habe mir Mühe gegeben, das du ansatzweise mit deinem Leben zufrieden warst. Zumindest in der zweiten Hälfte deines Lebens.
Du hast alle verändert. Meinen Vater, der immer sagte, dass du uns alle überlebst. Der sehr oft auch nach dir schaute, dir Karotten brachte und dich streichelte. Dich mochte. Meine Mutter, die selbst jetzt Kaninchenflyer verteilt und Leute aufklärt, wenn sie ihre Kaninchen einzeln oder im Käfig halten. Meine Schwester…Nein. Die nicht. Und mich natürlich. Ich weiß was es bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Und ich hoffe das ich deine Felixische Gelassenheit übernehmen werde. Ich habe dich geliebt. Mehr als alles andere. Ich fürchte den Tod nicht mehr. Ich hoffe dich eines Tages wieder zu sehen. Ich danke dir, Felix. Ich danke dir!
Anhang 157937