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Thema: Zur Enstehung von Harnsteinen beim Kaninchen

  1. #1
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    Standard Zur Enstehung von Harnsteinen beim Kaninchen

    1 Einführung
    Harnsteine sind ausgefällte kristalline Gebilde verschiedener Stoffe, welche im Urin normalerweise gelöst vorkommen. Die Bildung von Kristallen ist kein Problem, solange die Kristalle mit dem Urin abgehen; bei Kaninchen geschieht dies pausenlos, weshalb ihr Urin auch trüb ist. Ab einer bestimmten Grösse jedoch kann es zu Beschwerden kommen, wenn die Steine entweder in der Niere oder im Harnleiter Verstopfungen oder Verletzungen verursachen. Die Beschwerden reichen von leichten Schmerzen bis zu akutem Nierenversagen. (von Domarus, 1965)

    Es hängt von der Tierart ab, aus welchen Substanzen der Stein besteht. Kaninchen ähneln in diesem Punkt leider nicht den Hunden, Katzen oder Menschen, und bilden vorwiegend Harnsteine aus Calciumcarbonaten (Calcit) (Hesse 2008). Dieses Bild wurde 2011 von Rogers bestätigt. Das hat für die Kaninchenhalterin den unangenehmen Effekt, dass ein grosser Teil der Literatur zur Entstehung und Behandlung von Nierensteinen nicht ohne weiteres auf das Kaninchen angewendet werden kann. Im Folgenden soll es nur um die Calciumcarbonatsteine gehen.
    Steintypen_Artikelbild.jpg
    Quelle: Eigene Darstellung nach Rogers 2011

    1.1 Verkalkung, Blasenschlamm und Harnstein
    In Diagnose und Behandlung ist zu unterscheiden zwischen der Verkalkung, dem Blasenschlamm und dem Harnstein (Mellilo 2013). Die Kristalle der Verkalkung bestehen aus Calciumphosphat. Sie treten in der Nierenrinde (Cortex), im Übergang zum Nierenmark (Medulla) sowie in den Tubuli auf. Harnsteine bestehen beim Kaninchen fast immer aus Calciumcarbonat (Calcit). Sie können überall in der Niere vorkommen, man findet sie aber bevorzugt im Nierenbecken, in den Harnleitern und in der Blase. Blasenschlamm kann aus allen kristallinen Materialien bestehen, die sich im Urin befinden. Es überwiegen allgemein Calciumcarbonat (Calcit), Calciumcarbonat-Monohydrat (MHC) und Ammoniumphosphat (Struvit) (Johnson 2009, Spennemann 2002). Blasenschlamm sammelt sich in der Blase an. Er entsteht möglicherweise aber schon vorher in der Niere oder den oberen Harnleitern.

    Es gibt keinen Nachweis für eine ursächliche Beziehung zwischen diesen drei kristallinen Formen und Stoffen. Insbesondere gibt es keinen Nachweis, dass sich aus Blasenschlamm Harnsteine entwickeln würden, auch wenn dies gelegentlich behauptet wird. Vielmehr scheint es sich um verschiedene stabile kristalline Ausprägungen unterschiedlicher Stoffe zu handeln. Blasenschlamm kann bisweilen ausgesprochen kompakte und zähe Massen bilden, ohne jedoch zu einem Kristall zu aggregieren.

    Steine hingegen sind chemisch fest verbundene Moleküle. Es handelt sich um solide Festkörper. Sie bestehen aus Calciumcarbonat, enthalten selten und wenn, dann nur wenige Anteile Phosphor, und können lebensbedrohliche und schmerzhafte Verstopfungen verursachen.

    Symptome von Harnsteinen oder allgemein einer Nierenerkrankung beim Kaninchen sind bis zu einem sehr fortgeschrittenen Stadium unspezifisch und können sich auf eine Reihe von Krankheiten beziehen: Unterleibsschmerzen und Fressunlust entstehen auch bei ernsthaften Verdauungsproblemen. Stress und Schock führen beim Kaninchen zu einer Verringerung des Blutflusses durch die Niere, weshalb z.B. Creatininwerte auch bei Darmverschluss erhöht sein würden.

    Anzeichen für Nierenprobleme oder Harnsteine können sein: Fressunlust, Trägheit, Lethargie, Gewichtsverlust, Teilnahmslosigkeit, klarer Urin über längeren Zeitraum hinweg, überhöhte Calciumwerte im Blut bei gleichzeitig verringerten Phosphorwerten, auffällig vermehrtes Trinken, Blut im Urin, Unterleibsschmerzen, verschwommene Ränder der Knochen im Röntgenbild (Fisher 2006, Harcourt 2013). Die Symptome können kurzfristig und temporär auftauchen und dann wieder verschwinden, bevor man Gelegenheit hat, ihre Ursache herauszufinden. Ein Röntgenbild ist unerlässlich.

    1.2 Funktionsweise der Niere

    Eine der wichtigsten Aufgaben der Niere ist die Eliminierung von Abfallprodukten aus dem Blut. Deshalb fliesst ein Teil des Bluts direkt vom Herzen zur Niere. Beim Menschen ist das etwa 1/5 des Herzbluts.

    Die zur Niere führende Arterie vergabelt und verzweigt sich immer mehr, bis das Blut nur noch durch ganz feine Adern geführt wird. Dann wird es durch den Blutdruck in der Nierenrinde durch Membrane gedrückt, welche für grosse Moleküle, also eine Reihe von Proteinen zum Beispiel, eine Barriere darstellt, die aber von kleinen Molekülen, Calcium zum Beispiel, überwunden werden kann. Diesen Ort nennt man die Blut-Harn-Schranke. Sie liegt im sogenannten Nierenkörperchen, in welchem sich ein sogenannter Glormerulus befindet, in dem die Filterung stattfindet. Die Menge, die pro Zeiteinheit gefiltert werden kann, nennt man (glomeruläre) Filtrationsrate.

    Der frisch gefilterte Pimärharn wird nun durch eine Röhre geführt, den sogenannten Tubulus. Der hat eine Reihe von Windungen, und ist angeschlossen bzw. endet in einem der sogenannten Sammelrohre. Die Tubuli liegen teilweise oder ganz im Nierenmark, und sind die entscheidenden Komponenten, in deren Abschnitten die Rückgewinnung wertvoller Stoffe erfolgt, die zuvor herausgefiltert wurden.
    Nephron2.jpg
    Nephron und Röhrensystem in der Niere, eigene Darstellung

    Die Rückgewinnung darf man sich nicht so vorstellen, als würde in einem Abschnitt alles Calcium zurückgenommen und in einem anderen alles Natrium. Vielmehr muss die Niere beachten, dass Wasser immer dorthin streben wird, wo die höhere Konzentration eines Stoffes ist. Dieses Verhalten nennt man Osmose.

    Da die Konzentration an z.B. Calcium im Primärharn relativ hoch ist, wird der Primärharn dort Wasser anziehen, wo die Calcium-Konzentration höher ist als in den umgebenden Zellen. Wasser würde folglich in den Tubulus strömen und ihn im schlimmsten Fall übermässig ausdehnen oder zerreissen. Um dies zu verhindern nutzt die Niere einerseits Natrium, Kalium und Chlorid, da diese Stoffe die Fähigkeit haben, den osmotischen Druck zu verringern. Andererseits gibt sie eben immer so viel Calcium oder Phosphor oder Natrium usw. ab wie es der osmotische Druck zulässt. Deshalb wird im gesamten Durchlauf durch den Tubulus immer mal etwas hinzugefügt, weggenommen, wieder hinzugefügt usw. Aus diesem Grunde sind die Konzentrationen der einzelnen Stoffe und ihre Mischungsverhältnisse untereinander in den jeweiligen Abschnitten des Tubulus verschieden.

    Zudem sind die Mechanismen der Rückgewinnung der Stoffe teils aktiver Natur, das heisst hormongesteuert durch die Zelle hindurch, und teils passiv zwischen den Zellen hindurch. Der überwältigende Anteil der Wiederaufnahme des gefilterten Calciums ist passiv und erfolgt nahezu direkt im Anschluss an die Filterung im ersten Abschnitt des Tubulus. Dort findet auch die Hauptaufnahme des gefilterten Phosphors statt, sie ist aber auf Natrium-Kotransporter angewiesen und verbraucht Energie. Die hormonelle Steuerung der Phosphoraufnahme in der Niere wirkt deshalb vor allem daraufhin, Kotransporter zur Verfügung zu stellen oder zu verringern (Blaine 2014).

    Das Kaninchen verfügt über schätzungsweise 200‘000-230‘000 Nierenkörperchen pro Niere und entsprechend viele Tubuli. Etwa 5-6 Tubuli fliessen in jeweils eine Sammelröhre zusammen. Die Durchmesser der Tubuli schwanken je nach Abschnitt zwischen 10 und 30 Micrometer in ausgewachsenen Kaninchen von 1.5 kg Gewicht. Zum Vergleich: Der Mensch verfügt über ca. 1 Million Nierenkörperchen pro Niere, ein Frosch über etwa 80‘000.

    3 Entstehung von Harnsteinen

    Die Bildung eines Harnsteins setzt nach allgemeinem Verständnis fünf Schritte voraus (Basavaraj 2007, Aggarval 2013, Kuhlmann 2015):
    1. Übersättigung
    2. Kristallisation und Kristallbildung (Nukleation)
    3. Kristallwachstum und Aggregation
    4. Anhaften und Interaktion mit den Epithelzellen (Oberflächenzellen in der Niere)
    5. Steinwachstum

    3.1 Übersättigung

    Wenn man in einen Kaffee oder Tee Zucker kippt, dann löst sich dieser Zucker auf. Fügt man dem Getränk mehr und mehr Zucker zu, kommt es irgendwann zu einem Zustand, in dem der Zucker nicht mehr aufgelöst werden kann. Jedes Zuckerkristall, das hinzugefügt würde, würde zum Boden der Tasse sinken und dort als Kristall bleiben. In diesem Zustand nennt man das Getränk eine gesättigte Lösung.

    Eine Flüssigkeit, die von einem Stoff eine höhere Konzentration enthält als die Löslichkeit dieses Stoffes eigentlich erlaubt, nennt man eine übersättigte Lösung. Solange der gelöste Stoff auch in Übersättigung in Lösung bleibt und sich keine neuen Kristalle bilden, spricht man von einer metastabilen Übersättigung. Calcium besitzt die Tendenz, metastabile Lösungen zu bilden (Neumann 2008).

    Urin ist eine übersättigte Lösung im Hinblick auf viele Substanzen, wobei das Ausmass der Übersättigung und auch die Verhältnisse der im Urin befindlichen Stoffe in den einzelnen Abschnitten der Niere veränderlich sind. Die Übersättigung kann beim Menschen die 2- bis 8-fach erhöhte Konzentration der Stoffe sein. Mit der Konzentrierung des Urins bzw. der Abnahme des Urinvolumens nimmt die Übersättigung zu. Je höher die Konzentration eines Stoffes ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kristalle bilden.

    Obwohl der Urin übersättigt ist, bilden sich nicht fortlaufend Harnsteine, die Beschwerden auslösen. Gegen die Harnsteinbildung wirken vor allem drei Faktoren:
    - Der pH-Wert des Urins
    - Das Urinvolumen und
    - das Vorhandensein von Inhibitoren, das heisst Substanzen, welche die Kristallbildung hemmen.

    Die drei Faktoren wirken nicht in gleichem Masse auf alle steinbildenden Substanzen. So ist z.B. die Übersättigung von Calciumoxalat unabhängig vom pH-Wert des Urins, aber stark abhängig vom Volumen. Die Übersättigung von Calciumphosphat hingegen ist stark vom pH-Wert des Urins abhängig, aber weniger vom Volumen (Coe 1997).

    Die Übersättigung kann lokal verstärkt werden, wenn Urin- oder Blutfluss blockiert werden (Itatani 1979, Wakatsuki 1985, Eddy 1986), wenn eine dauerhafte (chronische) Beeinträchtigung der Nierenfunktion vorliegt oder wenn eine Kombination dieser Faktoren auftritt. Die Übersättigung wird verringert, indem sich der gelöste Stoff mit anderen Molekülen verbindet. Citrat etwa bildet mit Calcium eine Verbindung und reduziert dadurch eine Übersättigung mit freien Calciumionen. Die Kristallbildung selbst reduziert ebenfalls die Übersättigung.

    3.2 Kristallisation und Kristallbildung, Kristallwachstum und Aggregation

    Für die Bildung des ersten Kristallaggregats, welches sich nicht wieder auflöst genügt es, wenn sich mehrere einzelne Kristalle aneinanderlagern. Geschieht dies spontan ohne Einwirkung anderer Festkörper, so nennt man die Kristallkeimbildung (Nukleation) homogen. Sie ist z.B. bei Harnsäuresteinen regelmässig der Fall (Hautmann 1984, Kuhlmann 2015); allerdings verlangen Harnsäuresteine so niedrige pH-Werte im Urin, dass sie bei Kaninchen keine Bedeutung haben. Den Kristallkeim nennt man auch Nidus.

    Insbesondere für calciumhaltige Kristalle gilt, dass sie erst dann ausfallen, wenn die Übersättigung ausgesprochen hoch ist (in Wasser ist eine 20-fache Übersättigung für eine homogene Nukleation erforderlich) oder wenn Nuklei aus heterogener Kristallbildung vorhanden sind (Walder & Leiter). Dies liegt daran, dass die benötigte Aktivierungsenergie an Oberflächen von Feststoffen kleiner sein kann als für freischwebende Moleküle, was die heterogene Nukleation gegenüber der homogenen Nukleation erleichtert (Epple 2003). Beim Kaninchen mit seiner ausgesprochenen Tendenz zur Bildung von Calciumcarbonat-Steinen muss man von einer heterogenen Kristallkeimbildung ausgehen (Kunz 1983, Hautmann 1984, Neumann 2008, Aggarval 2013).

    Zu geeigneten Festkörpern können gehören: Nahtmaterial nach Operationen an der Blase (Morris 1986), Reste von Zelldegeneration (Aggarval 2013), Verletzungen des Epithels in den Tubuli, Proteinmoleküle im Urin (Khan 2004), Entzündungszellen (Harcourt 2013), Harnzylinder (Aggarval 2013), andere Kristalle im Harn (Hautmann 1984) oder Calciumdepots im Gewebe (Kuhlmann 2015).

    Die Keimbildung selbst ist mehr oder weniger ein Zufallsprodukt: In der übersättigten Lösung prallen Moleküle zufällig aufeinander und bilden Ansammlungen, vergleichbar mit den Wassermolekülen im Wasserdampf. Solange die Ansammlungen klein sind, werden sie wieder zerfallen, da die benötigte Aktivierungsenergie nicht ausreichend ist. Der stabile Nukleus entsteht deshalb erst, wenn eine kritische Grösse überschritten wird, genügend Zusammenstösse erfolgen und eine dauerhafte Verbindung zwischen den Molekülen durch Ionenaustausch entsteht (Kucher 2008). Mit steigender Übersättigung steigt daher die Wahrscheinlichkeit, dass Nuklei entstehen.

    Hat sich ein Nukleus geformt, beginnt der Kristall zu wachsen. Sowohl mit der Bildung von Kristallkeimen wie auch mit dem Kristallwachstum wird die Übersättigung abgebaut. Mit dem Wachstum kommt es zur Aggregation, bei der entstandene Kristalle aneinander anlagern und dadurch grössere Gebilde formen. Dies ist ein wichtiger Schritt, um überhaupt Steingrösse zu erreichen.

    Wenn in übersättigten Lösungen sowohl Kristallbildung wie auch Kristallwachstum auftreten stellt sich die Frage, welche der beiden Vorgänge dominiert. Dies ist u.a. vom Ausmass der Übersättigung abhängig: Bei geringerer Übersättigung kommt es zum Kristallwachstum, bei höherer Übersättigung kommt es zur Kristallbildung. Vor diesem Hintergrund ist zu bemerken, dass das Kaninchen stets Kalksand ausscheidet, aber bedeutend seltener Steine bildet, und dass die Fütterungsversuche mit sehr hohen Calciumgehalten auch nie zur Steinbildung geführt haben (Cheeke 1973, Clauss 2011). Die spricht für eine im Normalfall permanent hohe Übersättigung, bei der ein Kristallwachstum dennoch nicht stattfindet.

    3.3 Adhäsion und Interaktion mit den Zellwänden

    Kristallwachstum und Aggregation sind relativ langsame Prozesse, so dass es unwahrscheinlich erscheint, dass ein genügend grosser Kristall während der Transitzeit durch die Niere entstehen könnte. Es ist rechnerisch vielleicht möglich, würde aber eine gleichbleibende Übersättigung mit dem gelösten Stoff in allen Abschnitten der Niere bedeuten, was in der Praxis nicht gegeben ist.

    Zur Erklärung der Steinbildung tragen daher vor allem die Modelle bei, die von einer Interaktion des Kristalls mit den Zellwänden ausgehen (Mandel 1994, Mundy 2010), bei der die Kristallkeime entweder an den Zellen anhaften (Adhäsion) oder dort die Keimbildung stattfindet. An gesunden Epithelzellen ist dies unwahrscheinlich (Kuhlmann 2015), aber an geschädigten Zellen kann dies sehr wohl passieren (Chandhoke 1999, Basavaraj 2007, Aggarwal 2013, Kuhlmann2015). Im Inhalt von untersuchten Steinen sind Proteine nachgewiesen worden, die bei Entzündungsprozessen erzeugt werden (Khan 2004).

    Haftet der Kristall an den Zellen an, kann er im Laufe der Zeit zum Harnstein heranwachsen. Je grösser er wird, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Verstopfung kommt; entweder dort, wo der Stein anhaftet, oder, nachdem er sich abgelöst hat, irgendwo auf dem weiteren Weg durch die Niere oder die Harnwege. Die Stauung, die der Harnstein durch Anhaftung auslöst, verstärkt wiederum die Wahrscheinlichkeit des Steinwachstums.

    3.4 Hemmstoffe (Inhibitoren) der Kristallbildung

    Die kontrollierte Kristallbildung ist im Körper an anderen Stellen als der Niere durchaus vorgesehen. Die Knochenbildung und im Falle der Kaninchen auch das Zahnwachstum setzen kontrollierte Kristallbildung und –wachstum voraus, damit definierte geometrische Dimensionen erzeugt werden. Knochen und Zähne sollen beispielsweise glatte Oberflächen und eine definierte Form bekommen. Tatsächlich klappt genau das bei einer chronischen Einschränkung der Nierenfunktion nicht mehr (Harcourt 2013). Es verwundert deshalb nicht, dass die gesunde Niere eine Reihe von Stoffen produziert, die zu einer kontrollierten Kristallisierung beitragen und entsprechend die Kristallbildung oder das Kristallwachstum hemmen.

    Das Vorhandensein von Inhibitoren (Hemmstoffen) ist völlig unbestritten und mehrfach nachgewiesen (Marangella 2004, Khan 2004, Basavaraj 2007, Kuhlmann 2015). Als Hemmstoff ist ein Stoff definiert, wenn er in der Lage ist, die Übersättigung zu erlauben, die Kristallbildung oder das Kristallwachstum zu beinträchtigen oder zu verringern (Marangella 2004, Basavaraj 2007).
    In vielen Fällen können die Hemmstoffe an der Kristalloberfläche andocken, die Anlagerung weiterer Ionen vereiteln und so die Kristallbildung oder das Kristallwachstum verhindern oder abbremsen. Speziell der letzte Punkt ist für die Verhinderung der Harnsteinbildung immens wichtig, denn erst die Steingrösse entscheidet, ob es irgendwo auf dem weiteren Weg durch Niere und Harnwege zu Beschwerden kommt. Die Hemmstoffe behindern auch das Anhaften der Kristalle an den Zellwänden.

    Als Herbivore hat das Kaninchen mehrere Vorteile bei der Eindämmung der Steinbildung. Phytate und Magnesium, die in pflanzlicher Nahrung enthalten sind, hemmen die Steinbildung. Die pflanzliche Nahrung fördert ausserdem den alkalinen Urin, der eine ganze Reihe von Steinen verunmöglicht (Leitzmann 2009). Phosphor wird als Hydrogenphosphat aus dem Blut gefiltert und hemmt in dieser Form das Kristallwachstum von Calcit (Kunz 1983).

    Weitere Hemmstoffe sind: Citrat, Pyrophosphate, Glycosaminoglycane und allenfalls auch das Tamm-Horsfall-Protein (Gupta 2011, Rao 2011). Ich nenne nur diese, weil sie sehr oft genannt werden. Tatsächlich gibt es noch wesentlich mehr Stoffe, die einzeln oder in Kooperation an der Verhinderung einer Steinbildung beteiligt sind. Eine ganze Reihe dieser Stoffe sind auch bei der Bildung von Nierensteinen bei Kaninchen nachgewiesen worden.

    3.5 Risikofaktoren der Steinbildung

    Speziell für die calciumhaltigen Steine reicht die Übersättigung alleine nicht aus, damit eine Kristallkeimbildung stattfindet (Kunz 1983, Hautmann 1984, Walder & Leiter), wobei man beim Kaninchen getrost von einer permanenten und hohen Übersättigung ausgehen kann. Die Transitzeit in der Niere wiederum reicht nicht aus, einen Kristall von genügender Grösse zu erzeugen, zumal zahlreiche Inhibitoren und Promotoren der Steinbildung noch in das Geschehen verwickelt sind.

    Unter diesen Voraussetzungen kann es nur zu einer Harnsteinbildung kommen, wenn gleichzeitig mehrere Faktoren vorliegen. Nachfolgend sind daher die Risikofaktoren skizziert, die eine Harnsteinbildung ermöglichen. Neben individuell-angeborenen Unterschieden liegen Risikofaktoren in der Wasserversorgung und der Fütterung. Zu denken wäre ausserdem an Risiken aus Nierenschäden oder Verstopfungen der oberen Harnwege, Infektionen, mangelnder Bewegung und Übergewicht.

    3.5.1 Individuelle, angeborene Risikofaktoren
    Beim Menschen hat man festgestellt, dass die Steinbildner im Gegensatz zu den Nicht-Steinbildnern für gewöhnlich Eigenschaften aufweisen, die eine Steinbildung wahrscheinlicher machen. Sie haben grössere Abweichungen bezüglich des pH-Werts, in ihrem Urin befinden sich deutlich weniger Inhibitoren oder deutlich mehr Promotoren, sie weisen ausgeprägte Übersättigungen auf, entweder an Calcium oder an Oxalaten oder beidem, haben aber dafür geringeres Harnvolumen usw.

    Es liegt nahe, auch bei Kaninchen davon auszugehen, dass solche individuellen Unterschiede vorhanden sind: Im Experiment, wo unter Laborbedingungen bezüglich Futter und Umgebungsbedingungen identische Verhältnisse herrschen, entwickeln normalerweise nicht alle Tiere Nierensteine (Itatani 1979, Wakatsuki 1985, Cramer 1998a, Ritskes-Hoitinga 2004a).

    3.5.2 Wasserversorgung und Fütterung
    Es liegt auf der Hand, dass die Wasseraufnahme die Wahrscheinlichkeit für Harnsteine erhöht. Da das Kaninchen das Harnvolumen nicht sehr ausgeprägt konzentriert, wird mit einer geringeren Wasseraufnahme die Übersättigung tendenziell erhöht und mit einer höheren Wasseraufnahme die Übersättigung verringert, weil sich das Harnvolumen proportional zur Wasseraufnahme verändert. Überschreitet gleichzeitig mit einer Verringerung der Wasseraufnahme die Calcium- und Phosphorversorgung den Bedarf, kann es zu sehr ungünstigen Konstellationen kommen, welche die Wahrscheinlichkeit der Steinbildung weiter erhöht.

    Die aufgenommene Wassermenge hängt beim Kaninchen sehr eng mit der Futteraufnahme zusammen. Zwei Aspekte seien hier herausgegriffen:
    a) Die Gabe von Saftfutter alleine kann problematisch sein, weil dann zu wenig Flüssigkeit aufgenommen wird (Wolf 1999). Trinkwasser gehört deshalb immer angeboten, am besten in der offenen Tränke und nicht aus der Nippelflasche, weil die Tiere aus offenen Tränken mehr trinken (Tschudin 2010).
    b) Je höher der Rohfasergehalt im Futter ist, desto höher ist die Wasseraufnahme. Aus diesem Grund ist eine Fütterung von Grünfutter (Wiese, Blätter, Sträucher, Äste usw.) jeder Art von Trockenfutter mit einem Feuchtigkeitsgehalt von 10%-15% vorzuziehen. Innerhalb der Trockenfutter ist Heu gegenüber Pellets oder Mischfuttern ganz klar von Vorteil, weil es meistens einen sehr viel höheren Anteil an der erwünschten Rohfaser hat. Nachweislich trinken die Tiere deshalb bei Heu mehr als bei Pellets oder Mischfuttern. Vor allem bei mineralisiertem Mischfutter oder Pellets muss man dann darauf achten, dass man nicht etwa neben der im Vergleich zum Heu verringerten Wasseraufnahme zusätzlich eine relativ hohe Calciumladung anbietet, was für die Steinbildung doppelt ungünstig wäre.

    Bei diesen Überlegungen muss beachtet werden, dass eine ungenügende Wasseraufnahme alleine keine Harnsteine erzeugen kann. Es gibt aber eine klare Empfehlung für Tiere, die bereits Harnsteine haben oder hatten: Trinkwasserangebot, möglichst frisches Grünfutter, und wenn Trockenfutter, dann Heu.

    3.5.3 Calcium- und Phosphorgehalt im Futter
    Ein fütterungsbedingter Risikofaktor kann sowohl aus der Calcium- wie auch der Phosphoraufnahme entstehen. Rein mengenmässig führt ein gesteigerter Calciumgehalt im Futter auch zu einer vermehrten Calciumaufnahme, einem erhöhten Calciumgehalt im Blut und einer vermehrten Calciumausscheidung mit dem Urin. Da die Konzentration steigt, steigt auch das Risiko der Harnsteine. Nur: Die gesteigerte Konzentration alleine wird direkt keine Harnsteine hervorrufen. Entsprechende Fütterungsversuche haben dies gezeigt und damit demonstriert, was man hinsichtlich der Bildung von Calciumkristallen bereits weiss (Cheeke 1979, Whiting 1984, Kamphues 1986, Clauss 2011).

    Die Calciumaufnahme und –exkretion verhält sich etwas anders, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg der Phosphorgehalt in der Nahrung deutlich höher ist als der Calciumgehalt. Bei konstantem Calciumgehalt in der Nahrung fällt der Calciumspiegel im Blut in den ersten paar Wochen ab (Chapin 1967, Brazy 1980, Ritskes-Hoitinga 2004b, Bai 2012), um nach etwas mehr als drei Monaten wieder anzusteigen (Chapin 1967, Bai 2012). Der Phosphorgehalt im Blut steigt zunächst und nimmt dann ab. Parallel zum Anstieg des Phosphorgehalts im Blut steigt der Gehalt an Parathormon im Blut und in den Knochen wird der Wachstumsfaktor FGF23 erzeugt.

    Parathormon stimuliert eine vermehrte Calciumaufnahme aus der Nahrung, eine gesteigerte Wiederaufnahme von Calcium in der Niere und die Senkung der Wiederaufnahme von Phosphor in der Niere. Mit sehr hohen Mengen Parathormon wird auch die Calcium und Phosphorfreisetzung aus dem Knochen mobilisiert. FGF23 senkt ebenfalls die Phosphoraufnahme in der Niere und unterdrückt in gewissem Masse die Parathormonerzeugung (Rosenthal 2006, Johnson 2009, Blaine 2014) Da das Skelett etwa doppelt so viel Calcium wie Phosphor enthält, ist der Effekt auf die Calciumbalance grösser. Auch hier ist festzuhalten, dass die gesteigerte Konzentration von Phosphor alleine wie auch der später folgende erhöhte Calciumgehalt oder der gestiegene Gehalt Parathormon und FGF23 im Blut keine Harnsteine hervorruft, sondern dass weitere Faktoren dazu kommen müssen (Eichler 1965).

    Allerdings führen beide Situationen, sowohl das Übermass an Calcium im Futter wie auch das Übermass an Phosphor zu einer sichtbaren und teilweise funktionsrelevanten Verkalkung in der Niere (Jowsey 1972, Brazy 1980, Kamphues 1986, Cramer 1998b, Ritskes-Hoitinga 2004a, Bai 2012). Dieses Problem wird durch zusätzliche Gabe von Vitamin D verstärkt.

    Phosphor nimmt hier vielleicht sogar die wichtigere Stellung ein, weil die Nebenwirkungen gravierender zu sein scheinen als bei einem Calciumübermass: Mit steigendem Phosphoranteil in der Nahrung sinkt die Aufnahme von Magnesium und folglich dessen Gehalt im Blut –Magnesium ist jedoch ein Hemmstoff für die Steinbildung.

    Auch die Veränderungen im Nierengewebe sind bei anhaltendem Phosphorüberschuss gravierender und ausgeprägter als bei einem Calciumüberschuss. Neben der Bildung von Calciumdepots kommt es zu lokalen Entzündungen (focal inflammation) und zu einer Verhärtung des Nierengewebes (Fibrose) (Jowsey 1972, Cramer 1998a, Eddy 1986, Ritskes-Hoitinga 2004a, Ritskes-Hoitinga 2004b, Bai 2012).

    Die Nierenverkalkung selbst ist nicht gleichbedeutend mit einer Steinbildung, und sie findet auch in anderen Teilen der Niere statt als die Steinbildung: Die Verkalkungen befinden sich vorwiegend am Rand der Niere oder im direkt daran anschliessenden Teil, während die Steine im Nierenbecken oder den Harnleitern vorgefunden werden.

    Verkalkungen wie auch die übrigen Gewebsschäden bedeuten nicht automatisch eine Einschränkung der Nierenfunktion (Eddy 1986, Bai 2012), sie haben aber das Potential, den Durchfluss zu stören oder die Nierenfunktion zu beeinträchtigen. Ein Hinweis auf solche Störungen ist die vorgefundene Vergrösserung der Herzen, die einen erhöhten Blutdruck infolge der eingeschränkten Strömungsfähigkeit in der Niere nahelegt. Ein weiterer Hinweis sind die bei Verkalkungen erhöhten Creatininwerte (Cramer 1998a, 1998b, Harcourt 2013), welche im Experiment gefunden wurden. Allerdings sind die erhöhten Werte nicht zwingend ausserhalb des Referenzbereichs. Für den Heimtierhalter ist der Creatininwert deshalb unauffällig und er bekommt die vorhandene Störung gar nicht mit.

    Es ist möglich, dass die Verkalkungen und Gewebsschäden keine Rolle bei der Steinbildung spielen, aber es erscheint wahrscheinlicher, dass sie einen Beitrag zur Steinbildung leisten. Da die Verkalkungen so ausgeprägt sein können, dass die Gefässe nicht mehr aus dem Gewebe entnommen werden können, ist es schwer vorstellbar, dass die Funktion nicht eingeschränkt sein soll. Allerdings können die Verkalkungen auch temporär auftreten (Cramer 1998b), was vielleicht erklärt, dass es bei manchen Tieren zu einer Blasenschlamm-Episode kommt, die einmalig auftritt und nicht wiederkehrt. Man muss sich aber vor Augen halten, dass Blasenschlamm und Nierensteinbildung zwar verwandt sind, aber keine direkte Verbindung zueinander zu haben scheinen.

    3.5.4 Störungen der Nierenfunktion und Verstopfungen im Nierensystem
    Nierensteine sind eine vorhersehbare Komplikation einer dauerhaften Einschränkung der Nierenfunktion, das gilt auch für das Kaninchen. Das Kaninchen benötigt zum Überleben ca. 30-40% funktionierende Nierenmasse. Ist nur noch das Minimum an funktionierender Nierenmasse vorhanden, steigt das Risiko der Steinbildung signifikant an.

    Kommt zur eingeschränkten Nierenfunktion noch eine Verstopfung der Harnleiter oder der Gefässe, erfolgt die Bildung von Harnsteinen sehr schnell, auch wenn die Verstopfung nur temporär ist. (Itatani 1979, Wakatutsi 1985) Diese Kombination ist die einzige experimentell nachgewiesene Methode, die mit grosser Sicherheit Nierensteine erzeugt. Verstopfungen können durch Verklebung, Verkalkung, aber auch durch Abszesse oder Tumore verursacht werden.

    Kaninchen haben eine gewisse Tendenz zu Nierenproblemen, vielleicht in höherem Ausmass als andere Tiere. Untersuchungen legen nahe, dass bei 25-30% der Tiere Nierenschäden vorhanden sein können, ohne dass es Anzeichen klinischer Probleme geben würde. Tatsächlich ist die Diagnose einer eingeschränkten Nierenfunktion anhand der Blutwerte nicht immer ganz eindeutig (Fisher 2006, Harcourt 2013), und das Kaninchen besitzt erhebliche Möglichkeiten, eine eingeschränkte Nierenfunktion zu kompensieren (Eddy 1986, Cruise 1994).
    Vor diesem Hintergrund muss deshalb unbedingt beachtet werden, dass nicht jeder Nierenschaden automatisch eine eingeschränkte Nierenfunktion mit sich bringt. Dort wo die Nierenfunktion jedoch eingeschränkt ist, steigt das Risiko einer Harnsteinbildung.

    3.5.5 Andere Risikofaktoren
    Infektionen der Niere oder der Harnwege können ebenfalls die Steinbildung begünstigen, etwa indem sie den pH-Wert ungünstig beeinflussen, die vermehrte Bildung von Promotoren der Steinbildung anregen oder Schäden verursachen, welche die Kristallbildung erleichtern. Für solche Infektionen kommen etwa gewisse Streptokokken-Stämme, E. coli oder E. Cuniculi in Frage (Waltersdorff 1965, Djojodimedjo 2013, Harcourt 2013).

    Als weiterer Risikofaktor wird in der Literatur oftmals Übergewicht genannt. Beim Menschen lassen sich mit steigendem BMI veränderte Citratmengen im Urin nachweisen, was die Steinbildung begünstigt. Ähnliche Auswirkungen von Übergewicht sind ohne weiteres auch beim Kaninchen denkbar. Möglicherweise führt erhebliches Übergewicht auch zu Einschnürungen oder Verengungen der Harnwege oder Gefässe. In dem Fall kann es genau zu den Durchflussstörungen kommen, die für die Harnsteinbildung am gefährlichsten zu sein scheinen. Ein experimenteller Nachweis dieses Zusammenhangs beim Kaninchen fehlt jedoch.

    3.6 Fütterung im Hinblick auf Harnsteine

    Im Hinblick auf die Risikofaktoren der Harnsteinbildung und die hohe Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens, falls Harnsteine bereits einmal diagnostiziert wurden, ist es ratsam die Fütterung entsprechend anzupassen.

    Wenig verwunderlich: Je natürlicher die Ernährung, desto besser sieht es in Bezug auf Harnsteine aus. Faserreiches Grünfutter mit hohem Grasanteil und einer Feuchtigkeit von 80%-90% sind prinzipiell vorteilhaft. Bei reiner Gemüsefütterung sollte darauf geachtet werden, dass Sorten gewählt werden, bei denen der Phosphoranteil gering ist, am besten, dass er kleiner ist als der Calciumanteil. Vor allem Obst und Getreide bringen sehr viel Phosphor mit sich, ebenso ein grosser Teil der Sämereien. Es ist keine Lösung, bei permanent hohen Phosphoranteilen im Futter zwischendurch Calcium“bomben“ wie z.B. Küchenkräuter anzubieten, um die geeignete Calcium-Phosphorbilanz von 2:1 herzustellen. Relevant ist nicht nur das Verhältnis, sondern auch die Gesamtmenge Phosphor.

    Es wird in der Literatur immer wieder empfohlen, den Calciumanteil in der Nahrung zu senken. Es ist aber wichtig zu bemerken, dass man den Calciumgehalt im Blut beinahe nicht herunterfüttern kann; er ist beim Kaninchen prinzipiell erhöht, und nicht erst hoch, wenn calciumhaltige Nahrung verfüttert wird. (Chapin 1967b, Buss 1984, Whiting 1984, Kamphues 1986, Rosenthal 2006).

    Vor diesem Hintergrund ist von betont calciumarmer Kost eigentlich abzuraten; sinnvoll wäre eine der Tierart angemessen calciumhaltige Kost, bei der der Calciumgehalt etwa 0.5% beträgt (Chapin 1967b, Cheeke 1987). Empfehlungen von 1% Calcium sind eher auf Zucht- und Mastzwecke ausgerichtet und für Kaninchen ohne Kristalldisposition sicher unproblematisch. Für Kaninchen mit Tendenz zu Harnsteinen oder Blasengriess sind diese Mengen nicht zu empfehlen. Es ist deshalb nicht ratsam, jeden Tag Unmengen von Calcium“bomben“ zu verfüttern, und Grasheu wäre von Vorteil – das gilt allerdings auch für das gesunde Kaninchen.

    Trockenfutter ist im Grunde immer ungünstig, weil die Wasseraufnahme eingeschränkt wird. Faserreiches Trockenfutter kann sinnvoll sein, vor allem also Heu, Blätter, Äste und dergleichen. Lose Mischfutter haben den Nachteil, dass die Kaninchen sich ihr Futter selektieren und die angegebenen Mineralstoffe deshalb gar nicht im beabsichtigten Mischungsverhältnis aufgenommen werden. Insbesondere Futter mit Getreideanteil sind nachteilig, weil die hochkalorischen und phosphorbeladenen Getreide mit Vorliebe gefressen werden und somit ausgerechnet die phosphorhaltigsten Nahrungsmittel verspeist werden, während beispielsweise calciumhaltige Luzernestängel übrig gelassen werden (Wolf 1999). So gesehen wären Pellets die bessere Wahl, weil nicht selektiert wird, zumal man sie einweichen kann und somit die Wasseraufnahme tendenziell erhöht. Das ist dann auch der einzige Vorteil von Pellets - die meisten Sorten besitzen einen zu geringen Faseranteil und einen zu hohen Anteil von Kleinstpartikeln.

    Da aber mineralisierte und vitaminisierte Futter auf jeden Fall zu vermeiden sind, wenn man ein Kaninchen hat bei dem Harnsteine aufgetreten sind, empfiehlt es sich, von fast allen industriell gemischten oder verarbeiteten Futtern Abstand zu halten, und das gilt besonders auch für Pellets. Wenn es aus logistischen Gründen ein industriell hergestelltes Futter sein muss, dann sollte man eines nehmen, das nicht mineralisiert ist oder in Bezug auf Calcium, Phosphor und Vitamin D möglichst geringe Werte aufweist. Solche Industriefutter sind allerdings nicht leicht zu finden.

    Es lässt sich darüber diskutieren, ob es für ein betroffenes Kaninchen einen Unterschied macht, ob es nun 0.3% Calcium oder 0.5% Calcium bekommt. Das muss letztlich für das einzelne konkrete Kaninchen ausprobiert werden. Es ist jedenfalls nicht ratsam, die Hexenküche aufzumachen und die Gehalte an diesen Substanzen über die Fütterung penibel einstellen zu wollen. Bei Pflanzen wäre das auch gar nicht möglich, weil die Calcium- und Phosphorgehalte einer Pflanze nicht einmal pro Blatt oder Stängelabschnitt konstant ist. Für die Wiese und natürlich gewachsene Gemüse gilt: Was nicht im Boden war, kann nicht in der Pflanze sein. Für das industriell erzeugte Gemüse unter Plasticfolien gilt: Was nicht in der Nährlösung war, kann nicht in der Pflanze sein. Die Intensität des Grün vom Blatt ist oft ein Hinweis auf die Calciumhaltigkeit: Je intensiver grün, desto Calcium.

    Literatur
    Fett = Deutschsprachig
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    Dank an Anja S. für technische Unterstützung
    Geändert von april (13.12.2015 um 08:39 Uhr)
    Zwei Franzosen, zwei Schweizer, zwei Holländer, ein Japaner, zwei Loh, zwei Fürsorgefelle und ein "Weideunfall"

  2. #2
    Zeppelinchen im Farbenrausch Avatar von Walburga
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    Standard

    Spannend. Danke für die Mühe des Zusammentragens april.

  3. #3
    Erfahrener Benutzer Avatar von PaulOskar
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    Beiträge: 171

    Standard

    Das ist ja echt super klasse. Denke jetzt kann auf jeden Fall jeder die Entstehung von Harnsteinen nachvollziehen. Da hast du echt ganze Arbeit geleistet und weißt scheinbar auch wie man wissenschaftlich arbeitet bzw schreibt

  4. #4
    Aktives Mitglied Avatar von Ralf
    Registriert seit: 22.03.2011
    Ort: Helmstedt
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    Wahnsinn! Danke für die Arbeit april!


    LG
    Ralf
    Vergiß niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt.

    „Tiere sind meine Freunde und ich esse meine Freunde nicht.“ George Bernard Shaw

  5. #5
    Erfahrener Benutzer
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    Standard

    Danke april , das ist ein toller Artikel und ich finde das superspannend !


    Liebe Grüße, Anja

  6. #6
    ...Leo, Lenny, Philo, Amadeo und Nilo im Herzen Avatar von Nadine G.
    Registriert seit: 07.05.2008
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    Standard


    "Vielleicht bedeutet Liebe auch lernen, jemanden gehen zu lassen, wissen, wann es Abschiednehmen heißt. Nicht zulassen, daß unsere Gefühle dem im Weg stehen, was am Ende wahrscheinlich besser ist für die, die wir lieben."

  7. #7
    Erfahrener Benutzer
    Registriert seit: 21.07.2010
    Ort: Dormagen
    Beiträge: 642

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    Vielen Dank April für Deine Mühe! Die Zusammenstellung ist echt großartig.

    LG
    Carmen

  8. #8
    Fit in den Frühling! Avatar von Friederike
    Registriert seit: 29.10.2006
    Ort: Auf dem Lande
    Beiträge: 4.541

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    Wow, was für eine Wahnsinns-Arbeit, april, toll

  9. #9
    Gast
    Gast

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    Zitat Zitat von Walburga Beitrag anzeigen
    Spannend. Danke für die Mühe des Zusammentragens april.
    Dem möchte ich mich uneingeschränkt anschließen !

  10. #10
    Erfahrener Benutzer Avatar von Meike
    Registriert seit: 04.06.2009
    Ort: Gießen (Hessen)
    Beiträge: 724

    Standard

    Wow april
    Liebe Grüße von den 8 Pfoten
    In Memory: Chipsy 30.12.09 & Peppels 11.03.10 & Casimir 29.03.10 & Louis 03.08.11 & Bonny 07.03.12 & Whisky 28.07.13 & Caja 26.05.14 & Tulip 30.09.15 & Samson 15.03.18 & Kiwi 09.07.18 & Hündin Linda 18.11.18

  11. #11
    Erfahrener Benutzer
    Registriert seit: 03.07.2015
    Ort: Nürnberg
    Beiträge: 469

    Standard

    Wow, klasse so eine übergreifende ZUsammenfassung von wissenschaftlichen Artikeln zu diesem Thema finde ich total super!
    Man bekommt endlich einen richtig fundierten Überblick, danke!!

    Kannst du so was nicht zufällig auch für die Entstehung und Behandlung von Bezoaren und damit verbundenen Magen-Darm-problemen erstellen??
    Ich weiß ich bin unverschämt, bin aber so begeistert von deinem Artikel und vermisse so was zum Thema Bezoare hier...

    Wie auch immer vielen Dank für diesen Artikel!

  12. #12
    Erfahrener Benutzer
    Registriert seit: 09.04.2012
    Ort: Zürich
    Beiträge: 4.166

    Standard

    Danke für die Anerkennung Das macht richtig Spass, dafür lohnt sich die Mühe schon

    @sari: Das kann ich leider vorerst über Bezoare nicht schreiben. Die Steine liegen sozusagen in der Nähe meiner Interessen, darum war die Recherche spezifisch nach ihnen eine wirklich tolle Reise, an die ich mich erinnere wie andere an Ferien. Bezoare sind weit, weit weg davon, das wäre erheblich mehr Arbeit und dafür fehlt mir jetzt leider die Zeit.
    Zwei Franzosen, zwei Schweizer, zwei Holländer, ein Japaner, zwei Loh, zwei Fürsorgefelle und ein "Weideunfall"

  13. #13
    Liane, Amali, Udo & Lina für immer im Herzen Avatar von Carmen P.
    Registriert seit: 13.11.2011
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    Beiträge: 3.635

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    Ein ganz großes Lob für diese tolle Arbeit, april. Wirklich, hochinteressant.

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