Hallo,
ich möchte Eurer interessanten Diskussion noch einige Bemerkungen anfügen, weil dann manches vielleicht besser verstanden wird, was auf der Webseite beschrieben wird.
Das Kaninchen hat, im Verhältnis zu seiner Masse, einen sehr langen Verdauungsweg und großen Blinddarm. Die Darmlänge beträgt beim Kaninchen bis zu 6m, beim Menschen 7m – ist also trotz des enormen Masseunterschiedes fast gleich. Im Vergleich dazu ist der Magen relativ klein und wirkt nur wie ein kleiner Zwischenspeicher. Das ganze Verdauungssystem ist darauf ausgelegt, relativ große Mengen an Nahrung mit einem hohen Flüssigkeitsgehalt aufzunehmen. Auf dem Weg durch den Verdauungstrakt werden dem Nahrungsbrei Wasser und die Nährstoffe entzogen, die der Körper braucht. Das funktioniert bereits seit Jahrmillionen auf diese Weise und das Kaninchen ist bestens an diesen Mechanismus angepasst – auch das Hauskaninchen. Sehr rohfaserreiche Nahrung beschleunigt den Durchgang der Nahrung, weil ein großer Teil davon für das Kaninchen nutzlos ist und somit schnell ausgeschieden wird. Die kleinen, besser verdaulichen Teilchen aus dem Nahrungsbrei werden in den Blinddarm transportiert und dort von Bakterien genutzt. Simone hat das ja schon beschrieben.
Somit wäre schon einmal eine Frage geklärt, nämlich die des celluloseverdauenden Kaninchens: das Kaninchen (bzw. seine Bakterien) verdaut per se keine Rohfaser im Blinddarm, sondern nur jene Fraktionen, die klein und besser verdaulich sind. Dieser Fakt ist in der Fachwelt bewiesen und anerkannt, wenn auch nicht jedem Tierarzt bekannt. Man kann es aber auch einfach aus verschiedenen Verhaltensweisen indirekt schließen: wenn das Kaninchen so wild auf Rohfaser wäre und sie effektiv verwerten könnte, müsste es theoretisch den Hartkot fressen und nicht den Blinddarmkot, der nur sehr wenig Rohfaser enthält. Kaninchen selektieren ihre Nahrung gegen Rohfaser, das heißt, bei Möglichkeit sucht es sich die Teile der Pflanze aus, die den geringsten Rohfasergehalt haben (die Blattspitzen). Das werden jene bestätigen können, die ihre Tiere auf einer Wiese halten bzw. fressen lassen.
In englischen Fachartikeln finden sich für die Einteilung der Nahrungsteile die Begriffe „nonfibre“ (Nichtfaser-) für den Blinddarm und „fibre“ (Fasern), die für den Transport bzw. die Peristaltik, also die Darmkontraktionen nötig sind.
“In essence, the digestive strategy of the rabbit is to eliminate fiber from the gut as rapidly as possible, and employ its digestive processes on the breakdown of the nonfiber constituents of forage.” (Cheeke, 1987)
Heu ist etwas, was in der Natur selten vorkommt und von Kaninchen nur dann in nennenswerten Mengen gefressen wird, wenn es nichts anderes mehr findet. Dann geht es auch verstärkt an Rinde, aber selbst die hat noch 50% Feuchtigkeit, also 40% mehr als Heu. Der wesentliche Nachteil von Heu gegenüber frischem Grün ist das fehlende Wasser und der Verlust an wasserlöslichen Kohlenhydraten, zu denen auch Fraktionen der Rohfaser gehören. Normalerweise nehmen Kaninchen mit der Nahrung viel Flüssigkeit auf. Fällt der Flüssigkeitsgehalt in der gesamten Nahrung unter 60%, beginnt das Kaninchen, dem Körper Wasser zu entziehen, das es für wesentliche Funktionen benötigt. Es zehrt dann also von seiner eigenen Substanz.
In der Literatur wird ein Verhältnis von Trockensubstanz : Wasser von ca. 1 : 3 empfohlen. In verschiedenen Fütterversuchen wurde immer wieder festgestellt, dass die Aufnahme mit frischem Futter wesentlich höher ist. Bucher (1994) stellte für Grünfutter + Pellets tatsächlich ein Verhältnis von 1 : 5,5 fest, für andere Versuche mit trockener Nahrung nur 1 : 2, obwohl das Trinkwasser ad libitum zur Verfügung stand. Tschudin hat erst kürzlich nachgewiesen, dass außerdem noch die Darbietungsform von Wasser einen Einfluss auf die Aufnahme hat (Kaninchen sind überraschenderweise keine Flaschentrinker). Es ist also keineswegs so, dass Kaninchen pauschal die Flüssigkeitsdifferenz zwischen trockener und frischer Nahrung durch zusätzliches Trinken ausgleichen. Allein dieser Fakt dürfte schon vielen Erkrankungen Vorschub leisten.
Wenn ein Kaninchen die gleiche Menge Trockensubstanz von Heu und frischem Grün aufnimmt, beträgt der Unterschied im Volumen bzw. der Masse ca. 1 : 6. Das heißt, mit Wiese nimmt es zwangsläufig sechsmal mal mehr Futter auf als mit Heu. Wenn man die Darmlänge bedenkt, hat das enorme Auswirkungen auf alle Verdauungsvorgänge. Auf Grund der schnellen Passage fehlt dem Körper die Zeit, die paar Nährstoffe aus dem Heu zu lösen, es fehlen verdauliche Kohlenhydrate, was die Energieversorgung nur unzureichend gewährleistet, der Darm ist nur unzureichend gefüllt, trockene Nahrung kann Verstopfungen verursachen, die Darmschleimhaut verletzen, es fehlt die ständige Erneuerung des Darminhalts, das Ausspülen von Schadstoffen & Bakterien usw. usf….
Der einzige Vorteil von Gemüse ist das enthaltene Wasser. Auf Grund der fehlenden Nährstoffe bezeichne ich Gemüse für Kaninchen auch gern als „buntes Wasser“. Problematisch kann Wurzelgemüse werden, weil es so gut wie keine unverdaulichen Fasern, aber sehr viel leicht verdauliche Kohlenhydrate enthält. Diese Kombination kann es in größeren Mengen und über längere Zeit zu einem Verursacher von Durchfällen machen – logisch.
“If the feed contains few large particles and/or it is highly digestible, most of the caecal contents are pushed back to the caecum and lose elements which nourish the "normal" bacteria living in the caecum. This would appear to increase the risk of undesirable bacteria developing in this impoverished environment, some of which might be harmful.” (Lebas, 1997)
Jetzt setze ich mich mal noch in die Nesseln: ein weiteres, großes Problem kann natürlich die Kastration von Tieren sein. Die Auswirkungen auf manche Tiere sind schlicht verheerend, wenn auch selten öffentlich dargestellt. Fast allen diesen Tieren ist gemeinsam, dass sie weniger aktiv sind und zu Fettansatz neigen. Einige putzen sich nur unzureichend oder kommen gar nicht mehr richtig dazu, den Blinddarmkot aufzunehmen. Was deswegen immer vorher genau geklärt werden sollte ist, ob es sich überhaupt um Durchfall handelt oder um verschmierten Blinddarmkot, was durch Urin noch verstärkt werden kann.
Was ich geschrieben habe, ist kein Hokuspokus, etwas Ausgedachtes oder Vermutetes, sondern belegt und auch selbst beobachtete Fakten. Ich verdamme weder Heu noch Gemüse, sondern stelle nur dar, welchen Wert diese Futtermittel für Kaninchen haben. Kein Tier wird tot umfallen, weil es eine (kurze) Heudiät verordnet bekommt. Man muss aber dabei bedenken, dass die meisten Heimtiere sowieso schon relativ schlecht ernährt werden. Es gibt sicher Tiere, die jahrelang mit suboptimaler Fütterung klarkommen. Ich mag nur nicht die Ausnahmen zum Standard erheben. Ein wesentlicher Punkt im Tierschutz sollte auch die Lebensqualität von Tieren sein. Auch Menschen mit 30jähriger Gefängnishaft und schlechter Ernährung können sehr alt werden, deswegen wird aber niemand ernsthaft deren Lebensumstände für gut befinden.
Tierärzten wird im Studium in der Regel Wissen aus der Nutztierhaltung vermittelt. Bis vor einiger Zeit waren Vorlesungsunterlagen der LMU noch öffentlich zugänglich, jetzt leider nicht mehr. Dort konnte man zur Ernährung von Kaninchen das übliche und leidige „Heu, Heu und nochmals Heu!“ finden. Selbst im Internet veröffentlichen Tierärzte allerlei ausgemachten Blödsinn. Interessant sind die Reaktionen, wenn man sie mal mit etwas konfrontiert, was sie im Studium nicht gehört haben. Zwar führt fast jeder angehende Tierarzt in einer Dissertation mit dem Thema „Kaninchen“ einige wichtige Fakten zu diesen Tieren an, aber der Literaturteil ist wohl für viele nur eine lästige Vorgabe. Ein weiterer Punkt ist die oftmals enge Bindung an die Futtermittelindustrie, die in Deutschland nicht gerade für eine offene Diskussion bestimmter Themen bekannt ist.
„Erfahrung“ und „Bewährtes“ wird häufig als Argument benutzt, um die suboptimale Ernährung von Kaninchen zu rechtfertigen. Natürlich verschwindet der Durchfall bei einer Heudiät relativ schnell, der Körper duldet den Wasserverlust und –entzug aber nur bis zu einer bestimmten Grenze. Für manche Tiere ist das der Beginn vom Ende, denn man hat ja nur das Symptom bekämpft, nicht die Ursache. Oft geht das Drama wieder von vorn los, wenn man zur alten Fütterung zurückkehrt, meist entstehen Zahnspitzen und so beginnt der Teufelskreis (muss nicht, kann).
Manchmal wird die „Heudiät“ sogar zur „Entschlackung“ empfohlen – ich schreibe jetzt mal lieber nicht hin, was mir dazu einfällt.
freundliche Grüße,
Andreas
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