
Zitat von
april
Es ist ein bisschen eine Glaubensfrage, weil die Ursache für Blasenschlamm nicht bekannt ist und weil es mehrere Ursachen geben kann:
a) Genetisch bedingt, Körperbaubedingt
b) zu viel Calcium im Futter
c) Bewegungsmangel
d) Nierendefekt
Der Ablauf mit Calcium und Urin geht so: Das Kaninchen nimmt Calcium mit dem Futter und dem Zahnabrieb komplett auf, Calcium wandert in's Blut, wird in den Nieren gefiltert und der Überschuss geht mit dem Urin ab. Deshalb ist der Kaninchenurin trüb, weil eigentlich immer Partikel aus Calciumverbindungen drin schweben.
"Genetisch bedingt" kann jetzt vieles heissen, also kommt es eigentlich immer in Frage und deshalb braucht man dazu auch nix zu sagen. Der Körperbau spielt eine Rolle, weil je nach genauer Lage bzw. Form der Harnblase das Abgehen von Schlamm bzw. der Calciumpartikel erschwert wird. In dem Sinne kann Übergewicht eine Rolle spielen. Ein experimenteller Nachweis ist meines Wissens nie versucht worden, und eine empirische Überprüfung gibt es auch nicht.
Dass zu viel Calcium im Futter zu Schlamm führt, liegt beim Calciumstoffwechsel des Kaninchens nahe, ist aber mit Fragezeichen zu versehen. Es gibt keinen experimentellen Nachweis, und das ist erstaunlich wenn man bedenkt, dass es sehr viele Versuche mit hoher Calciumfütterung gibt, und vor allem wenn man bedenkt, dass sehr viele Kaninchen im totalen Calciumüberschuss existieren, weil alle mineralisierten Futtersorten im Normalfall mehr als das doppelte an Calcium beinhalten, als die Kaninchen fressen. Beim Strukturfutter können viele Kaninchen wenigstens die Luzerne als Hauptcalciumquelle liegen lassen, aber bei den meisten pelletierten Futtersorten geht das nicht.
Calciumüberschuss alleine erklärt Blasenschlamm jedoch nicht: Dann müssten viel mehr Kaninchen Blasenschlamm haben, es lässt sich nicht experimentell erzeugen (und das ist versucht worden) und Kaninchen mit identischer Fütterung entwickeln individuell Blasenschlamm. Im übrigen gibt es auch Blasenschlamm bei grasgefütterten Kaninchen, und Gras ist an der unteren Calciumgrenze, bei etwa 0.2%.
Bewegungsmangel scheint ebenfalls nahe zu liegen: Kaninchen bewegt sich nicht, Calciumpartikel sammeln sich an, Schlamm entsteht. Es verhält sich aber wie Calciumüberschuss: Alleine ist Bewegungsmangel nicht in der Lage, Blasenschlamm zu erklären: Auch dann müssten viel mehr Kaninchen Blasenschlamm haben, denn sehr viele Kaninchen haben so öde und leere Gehege, dass Bewegung nicht inspiriert wird und auch nicht ausgeübt wird, experimentell ist es nicht erzeugt worden (und meines Wissens findet der "Versuch" täglich statt), und von identisch gehaltenen Kaninchen entwickeln eben nicht zuverlässig alle bewegungsarmen Kaninchen Blasenschlamm.
Meine Lieblingstheorie ist der Nierendefekt, ohne dass ich die übrigen Gründe vollkommen ausschliessen möchte. Mit einer defekten Niere schwindet die Fähigkeit, Calcium wieder zu absorbieren, wodurch mehr Calcium an einem relativ kleinen Ort auftritt. Vielleicht schwindet auch die Fähigkeit, das Calcium in geeigneter Form zu filtern, so dass mehr bindungsfähiges Calcium vorliegt. Die Kaninchenniere kann temporär oder dauerhaft in ihrer Funktion eingeschränkt sein, was man aber meistens nicht merkt, weil das Kaninchen die Filtrationskapazität anpassen kann. Kaninchen neigen ausgesprochen zu Nierendefekten; es ist ohnehin ein Hauptproblem aller höheren Säugetiere. Es tritt für gewöhnlich erst mit fortgeschrittenem Alter auf, kann aber auch schon bei sehr jungen Kaninchen festgestellt werden, und sogar bei recht vielen, soweit ich weiss. Problem Nummer eins bei Kaninchen ist die Verkalkung, und die ist mit diesem Calciumstoffwechsel naheliegend.
Der Nierendefekt ist in der Lage, ganz alleine den Blasenschlamm zu erklären: Blasenschlamm betrifft selten junge Tiere, meistens ältere Tiere, er kann bei allen Fütterungsarten auftreten und nicht "herbeigefüttert" werden, er kann temporär auftreten, er kann unabhängig von der Bewegungsintensität auftreten. Durch künstlich erzeugte temporäre oder dauerhafte Nierenedefekte kann Blasenschlamm experimentell verursacht werden.
Falls Blasenschlamm auf eine temporäre oder dauerhafte Störung der Nierenfunktion zurückzuführen ist, hat das für die Fütterung die folgenden Konsequenzen:
- verzichte auf Trockenfutter, wenn sie vitaminisiert oder mineralisiert sind
- verzichte auf Trockenkräuter - sie haben sehr viel Calcium, aber mehr noch, weil sie trocken sind
- verzichte auf die unsäglichen "Sämereien" und Haferflocken, weil sie zu viel Phosphor mitbringen und dadurch Verkalkung fördern
- füttere frisches Futter, in der Saison möglichst Wiese mit relativ hohem Grasanteil, sonst die üblichen Verdächtigen blättrige Grünfutter
- stark calciumhaltige Pflanzen - Löwenzahn, Möhrengrün, Petersilie, Küchenkräuter - darf es frisch schon geben, aber nicht täglich büschelweise
- vermeide Frischfutter, das einen zu hohen Phosphoranteil hat, denn es fördert Verkalkungen
- vermeide alle Getreide, weil sie einen wahnsinnig hohen Phosphoranteil haben, der Verkalkungen fördert.
Und ansonsten mach Dir keinen Kopf. Nierenprobleme sind nur bedingt kontrollierbar.
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